Titelbild Buchrezension Marc Bielefeld

Buchrezension zu „Wer Meer hat, braucht weniger“ von Marc Bielefeld

In diesem Beitrag möchte ich etwas Neues ausprobieren, das es auf dem Blog noch nicht gab. Wenn man seine Liebe zum Segeln gefunden hat, gibt es Phasen großer Geschäftigkeit, in denen man auf dem Wasser ist und segelt, die nächste Reise plant oder am eigenen Segelboot arbeitet. Es gibt aber auch Zeiten, in denen man am und im Boot wenig zu tun hat. Dann sitzt man zu Hause, denkt an die Abenteuer der vergangenen Segelsaison zurück und träumt von bevorstehenden Herausforderungen auf dem Wasser.

Segler und vielen anderen Wassersportlern ist diese Zeit besser bekannt als „der Winter“. Dann ist das Wetter kalt, die See noch kälter und Regen- und Schneestürme ziehen über das Land. Es kann vorkommen, dass die Stege zugefroren sind und das Eis versucht, die Rümpfe der im Hafen zurückgelassenen Boote mit all seiner Kraft zu zerdrücken. In dieser Jahreszeit stehen deshalb viele Segelboote an Land. Man findet sie abgedeckt mit Planen oder geschützt in Hallen, Scheunen, Garagen oder Carports.

Doch wie geht es dem Segler in dieser Zeit des Jahres? Er ist etwas nervös. Die Menschen um ihn herum nehmen eine Angespanntheit wahr. Die Gründe sind nicht, die unvermeidlichen Familienfeste oder das neue Jahr. Es ist die Abwesenheit von Wasser und Wellen. Einigen Seglern jucken in der kalten Jahreszeit gar die Hände. Sie wollen nicht stillstehen, wollen etwas machen, wollen zurück an die See. Man kann dem Gefühl Abhilfe schaffen, indem man ein wenig am Boot arbeitet. Zumindest so lange, bis die Hände steif und kalt sind.

Alternativ sitzt er im warmen zu Hause, tief eingesunken in einen Lesesessel. Vielleicht steht neben dem Sessel ein Kaffee oder gar ein Glühwein. Auf der Nase sitzt die Lesebrille und in den Händen hält er ein Buch über sein Lieblingsthema – die See. Vollkommen egal, ob es der Reisebericht einer Atlantiküberquerung, ein Roman über große Seeschlachten oder das Sachbuch über das Schlechtwettersegeln ist. Es lindert die Sehnsucht nach dem Wasser und nach dem Segeln.

Eines der Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, nennt sich „Wer Meer hat, braucht weniger“ und wurde von Marc Bielefeld geschrieben. Über dieses Buch möchte ich berichten. Ich will meine Eindrücke schildern, zeigen, was mir gefallen hat.

Das Buch ist 2013 im Ludwig Verlag München erschienen. Ich besitze es in der Hardcover-Ausgabe, dritte Auflage, gedruckt 2014. Es hat 270 Seiten inkl. einem Glossar, in dem seemännische Begriffe für nicht-Segler erklärt werden. Der Link zu der aktuellen Ausgabe auf Amazon und Thalia ist am Ende des Beitrags zu finden.

Jetzt aber genug der Einleitung. Los geht‘s.

Wer ist Marc Bielefeld?

Ich kannte Marc Bielefeld nicht, bevor ich seine Bücher zum Segeln gelesen habe. Glücklicherweise verraten gerade die ersten Kapitel der Werke etwas über seine Jugend, seinen Werdegang und seinen Weg zum Segeln. Bielefeld wurde 1966 in Genf geboren. Mit fünf Jahren zog seine Familie nach Deutschland. Dort verbrachte er seine Jugend bevor er nach dem Abitur nach Paris zog. Auch hierzu finden sich Erwähnungen in seinen Büchern. Zurück in Deutschland entschied sich Bielefeld, Literatur und Linguistik zu studieren. Als Hochschule wählte er die Howard University in Washington D.C. sowie die Uni Hamburg. 

Marc Bielefeld
Marc Bielefeld (Quelle: https://www.marcbielefeld.de/)1

Hamburg ließ ihn dann lange nicht mehr los. Während er mittlerweile den Großteil des Jahres auf seinem Segelboot wohnt, zieht es ihn doch ab und zu in die Hansestadt an der Elbe. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch viele seiner Segelabenteuer im Frühjahr von Hamburg aus starten. Die Liebe zum Segeln scheint Bielefeld ebenso gefangen zu haben wie die Liebe zum Schreiben. In seiner selbstgewählten Berufung als freiberuflicher Journalist verbindet er Reisen, Segeln und das (wie er es nennt) „Aneinanderreihen von Buchstaben“.

Zu seinen Werken gehören Artikel und Reportagen in bekannten Publikationen wie der Süddeutschen Zeitung, Financial Times, National Geographics und als begeisterter Wassersportler natürlich auch dem Yacht-Magazin. Darüber hinaus schreibt Bielefeld Bücher. Fünf handeln (bisher) vom Segeln. Ich vermute, dass diese über die Zeit alle einmal in diesem Blog als Rezensionen landen werden. 

Doch Bielefeld beschäftigt sich auch mit anderen Themen und hält diese literarisch fest. In seinem Buch „Wilde Dichter: Die größten Abenteurer der Weltliteratur“ (Malik Verlag 2005), dass er zusammen mit Rüdiger Barth verfasste, schreibt er über Autoren wie Joseph Conrad, Ernest Hemingway und Herman Melville. Auf ihren Reisen sammelten diese Eindrücke und Erfahrungen, welche sie dann in Büchern verarbeiteten, die wir heute als Klassiker der Weltliteratur kennen. Auch dieses Buch steht noch auf meiner Wunschliste.

Worum geht es in „Wer Meer hat, braucht weniger“?

Wenig überraschend ist, dass es in diesem Buch um das Segeln geht. Bielefeld verbrachte schon mehrere Monate im Jahr auf seinem Segelboot, als er begann, daran zu arbeiten. Doch es handelt sich keineswegs nur um den Bericht einer Segelreise. In den Kapiteln, die oft um die zwanzig Seiten lang sind und daher angenehm am Stück gelesen werden können, werden drei große Themen behandelt, die durch Berichte und Anekdoten ineinander verwoben sind.

Buch "Wer Meer hat, braucht weniger"

Das erste Thema und der rote Faden, der durch das Buch führt, ist Bielefelds eigene Reise hin zum „Segler sein“. Er beschreibt seine Anfänge auf dem Wasser und seine lange Vertrautheit mit dem Meer. Der Kauf seines ersten eigenen Segelbootes, einer ganz aus Holz bestehenden Folkeboot war endgültig der Schritt, der Bielefeld zum Segeln brachte. Doch am Anfang stand das Lernen. Er musste lernen zu segeln, zu navigieren, den Wind und die Wolken zu lesen. Auch mit dem Boot selbst und dessen Pflege musste er sich vertraut machen. Ein Holzboot stellt noch einmal ganz andere Anforderungen an seinen Besitzer als GFK-Boote, die heute in der überwiegenden Mehrzahl auf Meeren und Seen segeln.

Zu Bielefelds „Reise zum Segeln“ gehören auch Berichte über seine ersten Segeltouren, kreuz und quer und rundherum auf der Ostsee. Auf den späteren Seiten des Buches kommt, nach vielen Jahren, ein neues Segelboot ins Spiel und damit der nächste große Sprung. Ich glaube nicht, dass ihm die Ostsee irgendwann zu klein wurde. Ich vermute eher, dass er an einem gewissen Punkt das Segeln auf der Ostsee so gut beherrschte, dass er den nächsten Schritt ging, um Neues zu erleben und zu erlernen. Dies war für Bielefeld die Nordsee. Rauer, unberechenbarer, härter. Neue Herausforderungen, sowohl beim Segeln selbst als auch beim Planen der Routen. Bielefeld beschreibt dies sehr gut:

„Ein internationaler Bootsschein musste her, andere Seekarten, Revierführer. […] Ich ahnte Fürchterliches. Ich würde rechnen müssen, vorausrechnen, umrechnen, kalkulieren. Außerdem galt es noch viele andere nautische Details zu berücksichtigen. Ich machte mich langsam an sie heran, und in jedem der kleinen Schritte schwappte schon das Meer.“

aus „Wer Meer hat, braucht weniger“ von Marc Bielefeld

Der zweite große Themenblock in dem Buch ist die Gesellschaft und welche Veränderungen Bielefeld in ihr wahrnimmt. In dem Kapitel „Die Krake“ und auf vielen weiteren Seiten beschreibt er, wie unser Leben immer hektischer, schneller und oberflächlicher wird. Es bleibt immer weniger Zeit für immer mehr Aufgaben. Am offensichtlichsten wird das im Beruf. Egal ob Krankenschwester, Bänker oder Autor, der ständige Zeitdruck trifft alle. So werden E-Mails mehr, kürzer und unpersönlicher. Der Kontakt zu den Arbeitskollegen, ja zu allen Mitmenschen, reißt ab. Das Rad dreht sich immer schneller und die meisten von uns sind darin gefangen. Schließlich muss Geld angehäuft werden, um Dinge kaufen zu können, um dazuzugehören, um dabei zu sein.

Das Segelboot selbst ist Bielefelds drittes großes Thema in diesem Buch. Nicht speziell sein Folkeboot, sondern das Konzept eines Bootes als Unterkunft und Lebensraum allgemein. Verbringt man längere Zeit, es genügt schon eine Woche, auf einem Segelboot, so merkt man, dass es anders ist. Es ist keine Wohnung, in der man ausreichend Platz hat. Es ist kein Heim, in dem eine Dusche mit warmem Wasser, ein King-Size-Bett und ein Induktionsherd mit vier Platten nicht Luxus, sondern Normalität ist.

Ein Segelboot ist klein, eng und besitzt wenig rechte Winkel, in die Regale, Sofas oder Kühlschränke passen. Und so schränkt man sich auf einem Boot ein. Man überlegt, was notwendig ist, was vielleicht weggelassen werden kann. Viele Gegenstände haben mehr als einen Verwendungszweck. Die Kaffeetasse wird zum Zahnputzbecher, das Handtuch zum Sonnenschutz und, ja, die Pütz manchmal zum Klo. Und irgendwann, ganz still und leise, wird die Einschränkung zur Freiheit. Keine Regale voller Bücher, sondern eine kleine, sorgsam ausgewählte Bordbibliothek. Aus dem Geschirr-Set für sechs Personen werden zwei Teller, zwei Gabeln, zwei Messer und zwei Löffel. Aus dem Smartphone, auf dem Nachrichten im Minutentakt aufleuchten und jeder immer erreichbar ist, wird ein Stück Kunststoff, das im Fach unter dem Kartentisch vergessen wird.

Bielefeld verwebt in dem Buch alle drei Themen geschickt miteinander. Er wechselt zwischen der Reise auf dem Wasser, den Problemen der Menschen und dem Gefühl auf einem Segelboot hin und her. So wird das Buch bis zur letzten Seite nie langweilig oder einseitig.

Was mir gefallen hat

Von der ersten Seite an fiel mir der wundervolle Schreibstil von Bielefeld auf. Jedes Wort fügt sich perfekt in die Zeile, in den Abschnitt, in das Kapitel. Er weiß, wie man das Schöne beschreibt. Mit einfachen, verständlichen Sätzen bringt er die Liebe zum Segeln herrüber. Dabei schafft er etwas, dass zur hohen Kunst der Sachbuchschreiber gehört – er löst Emotionen beim Leser aus. Jedenfalls ging es mir so.

Immer wieder, wenn ich das Buch zur Hand nahm, um das nächste Kapitel zu lesen, spürte ich die Sehnsucht nach dem Wasser. Ich wollte wieder im Cockpit eines Bootes sitzen, die Krängung ausgleichen und Gischt ins Gesicht bekommen. Handelte das Kapitel von dem begrenzten Platz auf dem Folkeboot, versank ich in Tagträume, in denen ich meine Bücher Stück für Stück durchgehe und auswählte, welche ich im Segelboot haben wollte. Schrieb er über das sich schneller und schneller drehende Hamsterrad, dann sehnte ich mich danach, auszubrechen. Wochen und Monate auf dem Wasser zu verbringen. Häufiger zu Ankern als im Hafen anzulegen.

Drei Abschnitte, die mir besonders gefallen haben, möchte ich nun hervorheben. Der Erste ist im Kapitel „Regen“ versteckt. Hier beschreibt Bielefeld, wie nach einem starken Regen und entsprechenden Lenzpumpeneinsatz ein alter Segelveteran an Bord kommt. Dieser erklärt ihm in typisch nordischer Art, was Regenwasser für Folgen für sein Boot hat und wie es bis zum letzten Tropfen aus der Bilge entfernt werden muss. Das zu lesen war amüsant und interessant zugleich. Als der Veteran ein paar Seiten später erklärte, dass nach dem Trockenlegen mit Salzwasser durchzuspülen sei, kam ich aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus. 

Marc Bielefeld auf Boot
Marc Bielefeld (Quelle: https://www.marcbielefeld.de/)1

Im Kapitel „Frühjahr“ schreibt Bielefeld von den Arbeiten, die er im Winterlager an seinem Boot verrichtete und von dem Erwachen der Segler im Frühjahr. Dann füllen sich die Hallen, in denen Segelboot an Segelboot steht. In jeder freien Minute wird geschliffen, gehämmert und lackiert. Ich wollte mich sofort in das nächste Bootsprojekt stürzen, als ich diese Seiten las.

Der dritte Abschnitt, den ich hervorheben möchte, findet sich in „Ein Boot fürs Volk“. Hier schreibt Bielefeld über seine ersten Kontakte mit Seekarten und die Begeisterung, die er beim Erkunden der kleinen Symbole und deren Bedeutung empfand. Die Karte zeigt nur das, was wichtig ist. Sie vernachlässigt alles andere. Vor allem das Land, dass nur als weißer Umriss dargestellt wird. Es lässt das weg, was auf dem Boot nicht wichtig ist. Die vollgestopften Autobahnen, die lärmenden Großstädte. Selbst pompöse Kirchen werden, wenn überhaupt, nur als nüchterne schwarze Kreuze angegeben, die zur Navigation dienen können. Einfach wunderbar!

„Mit dem Finger strich ich die Tiefenlinien entlang, erreichte bald offenes Wasser. Ich sah Bojen, rote, grüne Symbole. Nichts als höchst präzise Malerei. Irgendwann legte ich das Kursdreieck an, den Zirkel, ich steckte Kurse ab, maß Distanzen in nautischen Meilen. Ich befuhr das Meer schon.“

Aus „Wer Meer hat, braucht weniger“ von Marc Bielefeld

Bewertung und Empfehlung

Eines ist ganz klar. Marc Bielefeld ist ein Meister der Worte, ein Künstler des Schreibens. Mit Buchstaben auf einem Blatt Papier eine solche Sehnsucht nach dem Meer, dem Segeln und der Zeit auf dem Wasser zu erzeugen, so etwas habe ich noch nie erlebt. Man spürt beim Lesen die ganze Liebe zu seinen Booten, zu seiner Zeit auf Ost- und Nordsee, die er in den Text hat einfließen lassen.

Würde ich das Buch also empfehlen? Die Antwort darauf ist ein uneingeschränktes JA sein. Für alle, die der Schönheit des Segelns verfallen sind, ist dieses Buch eine wunderschöne Sammlung von Anekdoten, Berichten, Erfahrungen und Meinungen, die man nicht mehr aus der Hand legen will. Ganz im Gegenteil. Das Werk von Bielefeld bekommt einen der begehrten Plätze in der Bordbibliothek meines eigenen Bootes.

All denjenigen, die planen, das Buch in den Wintermonaten zu lesen, sei hier noch eine Warnung mitgegeben. Man muss sich beim fliegen durch die Seiten darauf einstellen, fast schmerzhafte Sehnsucht nach dem Geräusch rauschender Wellen und dem Gefühl der Großschot in den rauen Händen zu bekommen. Ist der Krantermin für die nächste Saison noch weit entfernt, kann es passieren, dass man sich auf den Weg macht. Man steigt in sein Auto und fährt zum nahegelegenen See oder Meer, um in der Kälte auf dem verlassenen Holzsteg zu stehen, die Augen zu schließen und dem Wasser zuzuhören.

Nun bleibt mir nur noch, viel Spaß beim Lesen des Buches „Wer Meer hat, braucht weniger“ zu wünschen. Falls du Empfehlungen zu weiteren Büchern hast, die sich um das Thema Segeln und Schifffahrt drehen, schreibe diese gerne in die Kommentare. Wer weiß, vielleicht handelt eine der nächsten Buchrezensionen auf dem Blog dann von deiner Empfehlung.

    Ahoi und bis bald!

    Links

    Website Marc Bielefeld (https://www.marcbielefeld.de/)
    „Wer Meer hat, braucht weniger“ bei Amazon (https://amzn.eu/d/eL5ekh0)

    1. mit freundlicher Genehmigung von Marc Bielefeld ↩︎

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